Nun gibt es wieder Grund, das Wienerherz höher schlagen
zu lassen: Die Wiener Heurigenkultur wurde kürzlich in das österreichische UNESCO-Verzeichnis
des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Anlass genug, näher
hinzusehen, was denn den Wiener Heurigen tatsächlich ausmacht.
Die Wiener Heurigen gehen direkt auf
landwirtschaftliche Traditionen zurück. Bäuerliche Familienbetriebe durften per
Dekret einfache Lokalitäten betreiben, um ihre selbst erzeugten Weine an den
Mann zu bringen - das sogenannte „Leutgeben“. (Mehr dazu in den Anmerkungen
unten.)
Der dem Genuss nicht abgeneigte Wiener griff dieses
Angebot gerne auf. In geselliger Runde traf man sich fortan in der Vorstadt auf
ein Glaserl Wein zum Gustieren, Schnabulieren und Deliberieren. Speisen wurden
zumeist selbst mitgebracht.
Fliegende Verkäufer folgten dem Strom und versorgten
die Leut‘ mit allerlei Kulinarischem. Der Salamutschimann verkaufte Salami, Würste
und Käse von seinem Bauchladen. Das Radiweib bot Rettich und Salzgurken feil,
und die Båchereifrau brachte Bäckerein und Süßigkeiten in die Gastgärten.
Später etablierten sich kleine Greißler, die Heurigenproviant verkauften und nicht
an die sonst üblich eingeschränkten Öffnungszeiten gebunden waren.
Den Kaufrufern folgten etwa seit dem Biedermeier auch Musikanten,
die der weinseligen Stimmung den Feinschliff verliehen. Vom Dudeln - der Wiener
Form des Jodelns - über Schrammelmusik, Harmonika, Kontragitarre bis zum
Zitherspieler bietet die Heurigenmusik eine breite Palette und somit eine
eigene Kulturform.
Heute bringt kaum noch jemand seinen eigenen Proviant zum
Heurigen mit, wiewohl dies nach wie vor erlaubt ist. Längst bieten die
hauseigenen Heurigenbuffets alles was das Herz begehrt und mehr. Im Unterschied
zu vielen Heurigenregionen außerhalb Wiens, werden neben dem kalten Buffet auch
warme Speisen geboten.
An kaum einem anderen Ort als beim Heurigen mischen
sich mit einer derart selbstverständlichen Niederschwelligkeit lebhafte Familien,
gesellige Senioren, verliebte Paare, grantelnde Einzelgänger, geschäftige Geschäftsleute,
leutselige Politiker und mehr. Kurzum, jeder ist willkommen und findet sein
Platzerl.
Wenn man ganz genau wissen will, was formal einen Wiener Heurigen ausmacht, lohnt sich ein Blick
in das Wiener Buschenschankgesetz. Grob skizziert, darf
ein ,echter‘ Buschenschank nur selbst gekelterte Weine, dessen Trauben auch
tatsächlich im Stadtgebiet von Wien gewachsen sind, ausschenken. Das
Heurigenlokal muss auf Betriebsgelände gelegen sein und vom Winzer selbst
betrieben werden. Dem Trend folgend erlaubt das Gesetz seit einigen Jahren,
dass in der warmen Jahreszeit auch im Weingarten selbst ausgeschenkt werden
darf. Diese ‚Pop-up-Buschenschanken‘ im unvergleichbaren Ambiente erfreuen sich
äußerster Beliebtheit und locken neues Publikum zum kalten Buffet.
Sogar die Beschaffenheit des berühmten Reisigbuschen,
der markiert, dass ,ausg‘steckt is‘, findet Abbildung in der gesetzlichen
Vorgabe.
Genau definiert sind auch die Heurigengebiete am Stadtrand
Wiens.
Diese Eigenschaften und mehr unterscheiden einen
,echten‘ Heurigen vom gewerblich geführten Gastronomiebetrieb, der das Heurigenambiente
zwar imitiert, jedoch in der Struktur weit weg vom traditionellen Winzerbetrieb
ist. Mangels Schutzes des Begriffs ist es Gewerbebetrieben gestattet, sich als
Heuriger zu bezeichnen.
Beim echten Heurigen wirkt auch noch heute meist die
gesamte Familie mit. Der Winzer/die Winzerin ist Weinbauer, Gastgeber, Koch und
Kellner in Person. Töchter werden zu Weinköniginnen gekürt, und das
Liptauerrezept der Urgroßmutter wird strenger als die Cola-Formel gehütet.
Der Wiener kann zu Recht stolz sein auf das Kulturgut ‚Wiener
Heuriger‘. Handelt es sich doch um ein Phänomen, dessen einzigartige Atmosphäre
geprägt ist vom Wiener selbst – seinem Hang zu Genuss, Gemütlichkeit und Geselligkeit.
Anmerkung: Um Begrifflichkeiten klarzustellen: als
,Heuriger‘ bezeichnet man sowohl den aktuellen Wein der Saison als auch die vom
Winzer betriebene Buschenschank.
Der Weinbau hat in Wien lange Tradition. Mit der Gründung
Vindobonas durch die Römer, wurde hierorts auch der Weinbau etabliert.
Heurigenlokale, wie sie uns heute ein Begriff sind,
entstanden ab 1784 per Zirkularverordnung von Kaiser Josef II. Darin wurde sinngemäß
jedem die Freiheit eingeräumt, die von ihm selbst erzeugten Lebensmittel, Wein
und Obstmost wie, wann und zu welchem Preis er will, zu verkaufen und
auszuschenken.
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